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Handwerker im Würgegriff der Versicherung

Ein Schaden, ein Streit mit der Versicherung und kein Geld in Sicht. Was diesem Betrieb widerfahren ist und wie Sie im Schadensfall richtig reagieren, lesen Sie hier.

Erschienen in der Zeitung "Norddeutsches Handwerk" im Januar 2017

Computer und Servereinrichtung gestohlen, Türen demoliert, Werkzeug und andere Betriebsmittel: weg. Es brauchte nur zwei Nachmittage im September 2015, um den Betrieb von Michael S. (Name geändert) komplett auszuräumen. Schaden: etwa 800.000 Euro. Und ab hier beginnt der Ärger.

Die Versicherung weigert sich, den Schaden zu begleichen. Grund: Sie reklamiert angeblich nicht wahrheitsgemäße Aussagen bei der Schadensmeldung. Der Streitpunkt: Ein paar tausend Werkzeugkomponenten, die das Unternehmen zur Herstellung seiner Produkte benötigt und dafür selbst fertigt. Wie viele wurden gestohlen?

Mit der Schätzung kommt der Ärger
Dazu gibt es unterschiedliche Angaben: Nach dem ersten Einbruch hat das Unternehmen eine Stückzahl geschätzt und in einer vorläufigen Stehlgutliste der Polizei gemeldet. Nach dem zweiten Einbruch fehlte so eine Schätzung in der Liste. S. Begründung: „Ich wollte abwarten, bis ich die genauen Zahlen ermittelt habe.“ Doch als ihn zwischenzeitlich ein Versicherungsvertreter besuchte und zu einer Schätzung drängte, nannte er doch eine Zahl. Kurz darauf zählte er genau nach. Folge: Der Schaden war weit größer, als geschätzt.

Nun kursierten unterschiedliche Angaben zur Schadenshöhe. Für die Versicherung ein leichter Angriffspunkt um den Schadenersatzanspruch von S. anzuzweifeln. Das hat sie dann auch getan.

Fall hat Routine
Ein Einzelfall im Versicherungswesen? Absolut nicht, weiß Rechtsanwalt Jürgen Hennemann aus Buchholz bei Hamburg. Der Fachanwalt für Versicherungsrecht hat sich darauf spezialisiert, die Ansprüche von Versicherungsnehmern gegenüber ihrer Versicherung geltend zu machen. „Meistens übernehmen wir Fälle, wo die Dinge zu eskalieren drohen“, sagt Hennemann.

Häufig beginne der Streit zwischen Versicherung und ihrem Kunden so wie im Fall von Michael S.: „Eine Nachlässigkeit des Kunden blasen die Versicherungen zu einer sogenannte Obliegenheitsverletzung oder gar arglistigen Täuschung auf“, sagt Hennemann. Vorteil für die Versicherung: Liegt eine Obliegenheitsverletzung vor, kann sie die Zahlung beinahe willkürlich reduzieren.

Lektion 1: Keine vorschnellen Angaben
Sein Tipp an jeden Versicherungsnehmer im Ernstfall: Ruhe bewahren. Oft genug würden Versicherungsermittler versuchen, Druck auf ihre Kunden aufzubauen und sie in die Ecke des Betrügers zu drängen. Dabei gilt ein einfacher Grundsatz: „Lassen Sie sich niemals zu einer übereilten Schadensangabe hinreißen und geben Sie zunächst überhaupt keine schriftliche Erklärung ab“, sagt Hennemann. Betroffenen rät der Fachanwalt dazu, sich einige Tage Zeit zu nehmen, um ihren Schaden gut überlegt und vollständig zu ermitteln. „Diese Liste wird dann kopiert und geht gleichzeitig an Polizei und Versicherung.“

Bei Michael S. ziehen sich die Ermittlungen der Versicherung bis heute hin. Schon Anfang 2016 zeigte die Versicherung wenig Interesse an einer schnellen Schadensbearbeitung. Zwei Monate ließ sie sich Zeit, um die längst verfügbare Ermittlungsakte von der Staatsanwaltschaft anzufordern. Auch in der Kommunikation reagiert sie träge, oft mit mehrwöchiger Verzögerung auf die schriftlichen Kontaktversuche ihres Kunden. Das änderte sich auch nicht, als S. Hausanwalt ihr mit einer Klage drohte.

Jürgen Hennemann wundert das wenig. Das gehöre zur Strategie, wenn die Versicherung die Zahlung vermeiden will. „Erst fordert sie noch Akten an, dann prüft sie die Akten, dann ist sie noch nicht fertig mit prüfen“, sagt er. „So kann die Versicherung leicht abwägen, wie lange sich ihr Versicherungsnehmer hinhalten lässt.“ Hennemann warnt: Wer sich in diese Opferrolle drängen lasse, wird von seiner Versicherung nicht mehr wie ein Gegner respektiert, sondern wie ein Opfer behandelt.

Lektion 2: der richtige Anwalt
Daran führe laut Hennemann nur ein Weg vorbei: Professioneller Rechtsbeistand – so früh wie möglich. Den könne der klassische Hausanwalt, mit Spezialisierung Erbrecht oder ähnlich Fachfremden, nicht leisten. „Es muss ein Fachanwalt für Versicherungsrecht sein“, betont Hennemann. Nur solch ein Anwalt habe ausreichend Fachkenntnis, um etwa unberechtigte Anfragen der Versicherung abzuwehren. „Nur so kann er ihr auch juristisch wirksam Fristen setzen und mit Sanktionen drohen“, erklärt Hennemann.

Bestenfalls, sagt Hennemann, suchen sich Betroffene bereits zum Zeitpunkt des Schadeneintritts einen Fachanwalt für Versicherungsrecht. Dabei sei dringend Folgendes zu beachten: „Um eine Interessenkollision zu vermeiden, muss der Anwalt schriftlich darlegen, wie er und seine Kanzlei in den letzten drei Jahren geschäftlich mit der Versicherungswirtschaft verbunden war“, sagt Hennemann. Hat es geschäftliche Kontakte gegeben, seien diese zu begründen. „Ist der Anwalt zu dieser schriftlichen Auskunft nicht bereit, suchen Sie sich einen anderen.“

Lektion 3: Schutz prüfen

Wie gut sind Sie versichert? Wer glaubt, gut versichert zu sein, dem rät Hennemann zur Prüfung seines Schutzes. „Und zwar nicht durch einen sogenannten unabhängigen Versicherungsmakler – niemand kann wissen, ob der tatsächlich so unabhängig ist, wie er vorgibt.“ Stattdessen müsse auch hier ein Fachanwalt für Versicherungsrecht oder ein unabhängiger Versicherungsberater die Policen prüfen. In beiden Fällen sei sicherzustellen, dass der gewählte Experte keine Geschäfte mit der Versicherungsbranche macht. (deg)