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Zur Trauer kommt die Wut

Zahlungsunwillig: Vor acht Monaten starben Dolf und Ronja Heiderstädt bei einem Motorradunfall. Schuldfrage geklärt. Doch die Versicherung zahlt nicht.

von Karsten Wisser

Erschienen im Hamburger Abendblatt vom 03.01.2004

Holm-Seppensen - Bärbel Heiderstädt sitzt zusammengesunken auf dem Stuhl in der Küche. Ihr Blick ist starr, Tränen stehen in ihren Augen, als sie vom schlimmsten Tag in ihrem Leben erzählt. Am 12. April 2003 hat Bärbel Heiderstädt ihren Mann Dolf (42) und ihre Tochter Ronja (12) verloren. Sie starben bei einem Motorradunfall. Ein 76 Jahre alter Autofahrer hatte die beiden auf der Kirchenallee in Sprötze übersehen. Jeden Morgen fällt der Blick der Mutter als Erstes auf zwei gerahmte Fotos auf ihrem Nachttisch. Niemand kann ihr und ihrem Sohn Timo (16) die Familie zurückgeben. Doch zur Trauer kommen jetzt auch noch finanzielle Sorgen dazu, und der Kfz-Versicherer des Rentners, die VGH aus Hannover, will trotz eindeutig geklärter Schuldfrage nicht zahlen.

Acht Monate ist der Unfall, der Mann und Tochter das Leben nahm, her. Mutter und Sohn erinnern sich so daran, als sei es gestern gewesen. Bärbel Heiderstädt hatte die Kinder aus erster Ehe mitgebracht, mit Dolf war sie sieben Jahre verheiratet. "Durch seine Meisterschule hatte Dolf wenig Zeit in den letzten Monaten. Aber den Tag hatte er sich freigehalten. Wir sind zusammen nach Hamburg gefahren und haben einen Einkaufsbummel gemacht", so Bärbel Heiderstädt. Am Nachmittag sind Ehemann und Tochter dann auf das Motorrad gestiegen. Ein "Vater-Tochter-Ausflug" war geplant. "Ronja war so ein lustiges, fröhliches Mädchen. Auf allen Bildern, die ich von ihr habe, lacht sie", sagt die Mutter. Der schreckliche Unfall geschah wenige Meter vom Haus des leiblichen Vaters von Ronja und Timo entfernt. Der Junge besuchte ihn zufällig mit ein paar Freunden. Durch einen Nachbarn auf den Unfall aufmerksam gemacht, fand er seinen Stiefvater tot auf der Straße, umringt von Polizei und Rettungskräften. "Da bin ich zusammengebrochen", sagt Timo Heiderstädt. Dass auch seine Schwester bei dem Zusammenstoß getötet wurde, erfuhr er erst, als zwei Polizeibeamte und der Holm-Seppensener Pastor Matthias Geilen, den Jungen zu seiner zu diesem Zeitpunkt ahnungslosen Mutter brachten. "Ich habe mich gewundert, dass sie noch nicht wieder zurückwaren und habe über Handy angerufen", sagt sie, "aber da konnte er schon nicht mehr telefonieren. Als Timo mit den beiden Polizisten vor der Tür stand, dachte ich zuerst, dass er etwas angestellt hatte." Tage und Wochen der Trauer folgten.

Acht Monate nach dem furchtbaren Schock kämpfen Mutter und Sohn immer noch darum, mit dem Schrecklichen fertig zu werden. Die Angst um die Zukunft, macht das nicht leichter. "Wir hatten noch so viele Pläne. Wir wollten Dolfs Geburtsort in Denver/Colorado besuchen. Wir wollten ein Haus kaufen", sagt Bärbel Heiderstädt. Diese Träume sind ausgeträumt. Für Bärbel Heiderstädt und ihren Sohn geht es heute nur noch darum, nicht auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Eigentlich müsste die Versicherung des schuldigen Autofahrers für einen Verdienstausfall aufkommen. Für das Jahr 2003 hätten Bärbel Heiderstädt und ihr Sohn danach Anspruch auf rund 45 000 Euro. Dolf Heiderstädt war ein rund um Buchholz anerkannter Fliesenleger und der Ernährer der Familie. In den Monaten vor dem Unfall hatte er seine Meisterprüfung gemacht. Die Forderung für den Erwerbsausfallschaden (40 000 Euro) und den so genannten Haushaltsführungsschaden (5000 Euro) basiert im Wesentlichen auf Zahlen des Steuerberaters der Familie und der Handwerkskammer. Gezahlt hat die VGH 1000 Euro. "Ich arbeite als Teilzeitkraft bei Edeka an der Kasse, um uns über Wasser zu halten", sagt Bärbel Heiderstädt. "Das Vorgehen des Versicherers ist rechtswidrig und beschämend", sagt Jürgen Hennemann, Rechtsanwalt aus Buchholz und Spezialist für Haftungs- und Versicherungsrecht. Angesichts des menschlichen Leids gebe es für die Handlungsweise der VGH keine Entschuldigung. Das Schreiben, in dem die VGH die 1000 Euro anbietet, sei eine Mischung aus gefühlloser Sachbearbeitermentalität und Versicherungsdeutsch. Für die Angehörigen ist es ein Schlag ins Gesicht. Auf Nachfrage der Harburger Rundschau gab es von der VGH, die sich als "servicestärkster Kfz-Versicherer" darstellt, nur die Auskunft, dass es sich um ein laufendes Verfahren handelt. Dazu gebe man keine Auskunft.

Rechtsanwalt Hennemann sieht darin die Verzögerungstaktik eines Versicherers, der sich über die Größenordnung des Haftungsschadens genauestens im Klaren ist. Der Erwerbsausfallschaden kann für 20 Jahre geltend gemacht werden. "Wir setzen jetzt eine letzte kurze Frist und dann kann sich die VGH gegenüber dem Landgericht Stade erklären", sagt der Anwalt.