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Anwalt klagt: Versicherungen lassen Unfallopfer im Stich

von Anne Müller

Erschienen in der Bergedorfer Zeitung vom 06.03.2013

Reinbek. Beim Thema Versicherung ringt Adolf Schmuhl (66) nach Luft. Die körperlichen Verletzungen nach einem schweren Verkehrsunfall in Wentorf sind überstanden. Aber auf das Trauma folgte der Streit mit der Versicherung. Der dauert bereits 27 Monate.

Reinbek Dezember 2010. In einem Restaurant lassen Lydia und Adolf Schmuhl den Abend ausklingen und machen sich gegen 22 Uhr auf den Nachhauseweg. Der 66-Jährige lenkt seinen Renault Megane Scenic auf der Hamburger Landstraße Richtung Reinbek. Und dann ist das Leben der Reinbeker von einer Sekunde auf die andere brutal ausgehebelt: Ein Ford Mondeo rast mit mörderischer Geschwindigkeit in ihr Auto. Es folgen Krankenhausaufenthalte und ein bis heute andauernder Streit mit der Versicherung des Unfallgegners. Obwohl das Landgericht den Schmuhls inzwischen 35 000 Euro zugesprochen hat, bekommen sie kein Geld. Die Versicherung widersprach, will neue Gutachter hören.

"Wir mussten uns bei unseren Kindern Geld leihen, einen Kredit aufnehmen", sagt Lydia Schmuhl, die als Produktionshelferin bei Hermal gearbeitet hat. Ihr Mann hatte Glück, dass er mit dem Leben davongekommen ist. Eine von sieben gebrochenen Rippen hatte sich in die Lunge gebohrt. "Ich finde es menschenverachtend, wie die Versicherung mit uns umgeht", sagt Lydia Schmuhl (64).

Hinter dieser Taktik stecke System, wie Anwälte, Verbraucherzentralen und der Bund der Versicherten immer häufiger feststellen. Immer häufiger kommen Anfragen mit dem Tenor: "Was sollen wir tun, die Versicherung will nicht zahlen?" Summen wie die 35 000 Euro seien eine Größenordnung, bei der es die Gesellschaften schon versuchen würden, wenn sich Beurteilungsspielräume eröffnen, sagt Hajo Köster, Berater und Jurist beim BdV. Das bestätigt Thomas Hagen, Sprecher der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein. Auch hier nehmen die Anfragen zu. Die Versicherungen stehen unter Druck, vermutet er und sieht Zusammenhänge mit der allgemeinen Entwicklung auf den Finanzmärkten. Die Unternehmen spielten vor allem bei hohen Summen auf Zeit, versuchten, die Geschädigten mit Vergleichen abzuspeisen.

Auch das Ehepaar Schmuhl - mit dem Hinweis vom Anwalt der Gegenseite, dass so ein Gerichtsverfahren Jahre dauern könne. Eine übliche Praxis, wie Dirk Hein, Anwalt der Schmuhls, weiß. Nicht nur der Fachanwalt für Verkehrsrecht der Bad Segeberger Kanzlei Hein und Kraft beobachtet zunehmend, wie Versicherungen mit harter Hand Opfern und Geschädigten Leistungen verweigern. Jürgen Hennemann, Fachanwalt für Versicherungsrecht aus Buchholz, geht mit den Versicherungen noch härter ins Gericht: "Wir beobachten seit Jahren, dass begründete Ansprüche entweder systematisch total verweigert oder Leistungen radikal gekürzt werden."

Dabei gehe es nicht nur um die Ansprüche und das Geld der Geschädigten, sondern auch um das der Versicherten in Deutschland. Denn die Zäsur des eisernen Kurses hat Hennemann im Platzen der Spekulationsblase der sogenannten Dotcom-Unternehmen im März 2000 ausgemacht. "Seitdem und nochmals intensiviert seit der Finanzkrise werden Schäden mit dem eisernen Besen reguliert. Denn die Versicherungsunternehmen hatten bereits zu Beginn des neuen Jahrtausends geschätzte 150 Milliarden Euro durch riskante Anlagen verloren." Für das insgesamt verspielte Geld müssten jetzt die Geschädigten bluten. Und mit denen gingen die Versicherungsunternehmen nicht gerade zimperlich um. Da werden Drohkulissen aufgebaut, die Leute über Jahre am Nasenring durch die Gerichtssäle geführt. "Allzu viele geben da auf", sagt Hennemann. Er fürchtet, dass sich das nicht ändern wird, "solange wir in Deutschland kein Sanktionssystem haben, das Unternehmen, die jemanden unredlich behandeln, mit drastischen, die Existenz bedrohenden Strafen belegt". In anderen Ländern wie beispielsweise Frankreich gebe es Rahmen-Kataloge für Entschädigungspositionen wie Schmerzensgeld, nach denen Zahlungen, die hier Jahre verhandelt werden, in Monaten abgeschlossen sind.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) weist die Vorwürfe zurück: Für ein taktisches Vorgehen gebe es keine verlässlichen Erhebungen. "Es gibt nun einmal Konstellationen, in denen Dinge vor Gericht geklärt werden müssen. Und je höher sie in der Instanz gehen, desto länger müssen sie auf einen Termin warten", sagt Sprecher Stephan Schweda.