Dauerschaden reicht nicht
Wer nach einer Sportverletzung invalide wird, kann nicht immer auf seine Unfallpolice setzen. Denn die Unfallversicherer arbeiten mit höchst unterschiedlichen Definitionen dessen, was ein Unfall ist.
von Anja Krüger
Erschienen in der Financial Times Deutschland vom 05.06.2012
Freizeitsportler, die eine Unfallversicherung abschließen, sollten sich viel Zeit für das Kleingedruckte nehmen - auch und gerade, wenn der Vermittler ihnen die Police als spezielle Versicherung für Freizeitsportler anpreist. Sie müssen sich Klarheit darüber verschaffen, mit welchem Unfallbegriff ihr Versicherer operiert. Denn davon kann im Ernstfall abhängen, ob er zahlt. Selbst bei auf den ersten Blick eindeutigen Umständen versuchen Versicherer nicht selten, eine Leistung zu verweigern oder zu kürzen.
"Gerade wenn es um hohe Summen geht, sind die Versicherer sehr streitfreudig", sagt Thorsten Rudnik vom Bund der Versicherten. Diese Erfahrung macht gerade die ehemalige leidenschaftliche Tennisspielerin Viola Wacker. Sie hat sich bei einem Match eine komplizierte Verletzung zugezogen: Das rechte Knie knickte nach innen, Unter- und Oberschenkel drehten sich nach außen. Die Verletzung schien ausgeheilt zu sein, doch Monate später wiederholte sich das Malheur. Wieder erlitt sie ein sogenanntes Außenrotations-Abduktions-Trauma mit diversen Muskelrissen. Das Knie ist dauerhaft geschädigt, Viola Wacker invalide.
Ein Unfallversicherer, die Signal Iduna, zahlte anstandslos die vereinbarte Summe und überweist darüber hinaus eine monatliche Rente in Höhe von 500 Euro. Für die Signal Iduna war das, was Viola Wacker geschehen ist, ein Unfall. Ihr anderer Unfallversicherer, die Generali , zahlte 34.000 Euro. Das war Viola Wacker zu wenig, denn die vereinbarte Summe war deutlich höher. Die ehemalige Tennisspielerin fordert insgesamt 150.000 Euro. Sie zog vor Gericht, in Kürze wird die Sache vor dem Landgericht Freiburg verhandelt. "Nachdem sich meine Mandantin gegen die verkürzte Leistung gewehrt hat, argumentiert der Versicherer jetzt, dass es sich gar nicht um einen Unfall gehandelt hat", sagt ihr Anwalt Jürgen Hennemann. Ein empörendes Vorgehen, findet er. "Zunächst gewährt der Versicherer Deckung, und wenn die Kundin es dann wagt, mehr zu wollen, sanktioniert man sie wie ein ungezogenes Kind und sagt: Dann bekommst du eben gar nichts."
Eine Unfallversicherung ist eine hoch komplizierte Angelegenheit. Sie funktioniert anders, als viele glauben und so mancher Verkäufer glauben machen will. Die Unfallversicherung zahlt in der Regel nicht, wenn sich der Kunde beim Skifahren ein Bein bricht oder nach einem Crash mit dem Auto Monate im Krankenhaus liegt und wieder gesund wird. Der Versicherer zahlt nur, wenn der Kunde ganz oder teilweise invalide ist.
Und auch dann bleibt die Sache sehr kompliziert. Denn viele Versicherer operieren mit einem Unfallbegriff, der für Laien schwer nachvollziehbar ist. So zahlen etliche Gesellschaften nur, wenn ein plötzlich von außen einwirkendes Ereignis einen bleibenden Gesundheitsschaden verursacht. Das heißt: Fällt dem Kunden ein Dachziegel auf den Kopf, zahlt der Versicherer. Aber nicht, wenn der Jogger mit dem Fuß umknickt oder dem Fußballspieler ohne Außeneinwirkung die Bänder reißen. Das sind im Versicherungsjargon Eigenbewegungsschäden.
Immer mehr Versicherer reagieren auf diese gerade für Sportler höchst unbefriedigende Lage, sagt Verbraucherschützer Rudnik. Sie zahlen auch, wenn das Geschehen nicht der strengen Definition gerecht wird. Allerdings gibt es zwischen den Anbietern große Unterschiede. Manche versichern den Eigenbewegungsschaden komplett, andere mit Einschränkungen.
Die Generali verkauft ihre Unfallversicherungen mit dem Hinweis, dass sich Sportler damit rundum gut absichern. Deshalb hat sich Viola Wacker für diese Police entschieden. Der Versicherer lehnt ihre Forderung trotzdem ab - und fährt dabei mehrgleisig. "Die Unfallversicherung der Generali deckt eine große Zahl an Verletzungen, die sich durch Sportunfälle ergeben, ab: beispielsweise Verletzungen an Bändern, Sehnen und Muskeln", sagt ein Sprecher der Generali. Viola Wacker habe aber eine Verletzung am Meniskus.
Das sei nicht gedeckt. Trotzdem habe der Versicherer der verletzten Tennisspielerin 34.000 Euro gezahlt, um ihr entgegenzukommen, sagt der Sprecher. "Grundlage für die Summe ist ein Gutachten, das die Generali in Auftrag gegeben hat", so der Sprecher. Der Gutachter stellte eine Bewegungseinschränkung des Kniegelenks und einen Invaliditätsgrad von 28 Prozent fest. Ein von Viola Wacker eingeschalteter Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass ein Invaliditätsgrad von 56 Prozent vorliegt. Auf dieser Grundlage fordert sie weitere 116.000 Euro.
Was Viola Wacker widerfahren ist, sei kein Einzelfall, sagt Verbraucherschützer Rudnik. Eine Klage kann viel Geld kosten und kann sich deshalb nicht jeder leisten. "Deshalb lassen sich Kunden immer wieder mit zu geringen Zahlungen abspeisen."