Versicherung lässt Bandopfer zappeln
Auch 15 Monate nach dem Großbrand im Garlstorfer Restaurant "Waldklause" kann von kompletter Schadensregulierung nicht die Rede sein
Artikel im Hamburger Abendblatt vom 19.01.2012
von Michelle Kossel
Garlstorf. Wenn Nachbarn in ihren Gärten Strauchwerk verbrennen oder es im Dorf nach Qualm riecht, wird Doris Vick nervös. "Dann rast mein Herz", sagt sie und blickt auf den großen blauen Ordner, den sie aufgeschlagen hat. In Klarsichthüllen hat sie Fotos von der Brandruine ihres Restaurants, der "Waldklause", abgeheftet.
Im Oktober 2010 vernichtete ein Feuer das Gebäude an der Straße Zur Osterheide. Als die Flammen sich durch den Dachstuhl fraßen, haben Thomas und Doris Vick im Gebäude geschlafen, wurden wach, als es unheilvoll knisterte und konnten sich gerade noch nach draußen retten, bevor Teile des obersten Stockwerks zusammenstürzten. Am nächsten Morgen stand Seniorchef Richard Vick fassungslos vor dem Restaurant, seinem Lebenswerk. Nicht nur der Brand setzte dem Gebäude zu - etwa 16 000 Liter Löschwasser hatten das Innere der gemütlichen Gaststube in eine Tropfsteinhöhle verwandelt. Doris und Thomas Vick konnten nur wenige persönliche Dinge aus dem brennenden Haus retten, leben seitdem in einer Ferienwohnung.
Die Gastronomen setzten auf ihre Versicherung, die Versicherungsgruppe Hannover (VGH). "Seit 80 Jahren zahlt die Familie dort nun schon Beiträge. Wir wähnten uns also in guten Händen", sagt Thomas Vick und schüttelt den Kopf, zeigt auf einen weiteren Ordner mit vielen Papieren, Gutachterschreiben und Briefen vom Anwalt der Familie, dem Versicherungsexperten Jürgen Hennemann aus Buchholz.
Eigentlich wollten die Vicks Weihnachten 2011 wieder in ihrer neu erbauten "Waldklause" feiern. Nun müssen sie sich auf unbestimmte Zeit gedulden, vertrösten immer wieder Gäste, die fragen, wann das Restaurant denn endlich wieder eröffnet wird. Denn das Gebäude wird von Grund auf renoviert. Und das mussten die Vicks zum größten Teil aus eigener Tasche zahlen. "Die Versicherung macht uns große Schwierigkeiten", sagt Doris Vick.
So habe sich die VGH unmittelbar nach dem Brand nicht um notwendige Sicherungsmaßnahmen wie die Trocknung des Wasserschadens bemüht. "Die VGH hat das Haus verrotten lassen. Sie hätte allerdings tätig werden müssen, um die Schadenssumme in Grenzen zu halten", sagt Anwalt Hennemann. Er vermutet, dass die VGH das Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abwartete, um auf Leistungsfreiheit zu spekulieren.
Im Januar stellte sich heraus, dass "uns keine Schuld trifft", sagt Thomas Vick. Erst danach sei die VGH aktiv geworden. "Aber erst Ende März kümmerte sie sich um die Feuchtigkeitsschäden - viel zu spät für die Gebäudesubstanz", sagt Doris Vick. Ein Versicherungssachverständiger habe die "Waldklause" begutachtet. "Der meinte doch tatsächlich, dass man am abgebrannten Dachstuhl einfach wieder anflicken könne. Das ist baurechtlich nicht zu machen und funktioniert auch technisch nicht", so der Gastronom. Danach kam Post von der VGH. Vick: "Der Sachverständige hatte einen Brutto-Neuwertschaden für das Gebäude in Höhe von 432 000 Euro berechnet. Außerdem zahlte man uns einen Netto-Zeitwertschaden in Höhe von 175 000 Euro im März aus."
Unterdessen gerieten die Vicks in Zeitdruck. Sie wollten mit dem Wiederaufbau beginnen, hatten, ebenfalls bei der VGH, eine Betriebsunterbrechungsversicherung abgeschlossen. "Unverständlicherweise für die Dauer von nur einem Jahr", sagt Hennemann. Also bemühten sie sich zunächst auf eigene Faust, die Bauarbeiten auf den Weg zu bringen. Dann kam der nächste Schock. "Der Architekt teilte uns mit, er rechne mit Baukosten in Höhe von etwa 800 000 Euro. Das Haus müsse entkernt, der Dachstuhl wieder neu aufgebaut werden."
Und da es sich um einen Gastronomiebetrieb handelt, müssten einige Bauauflagen erfüllt werden. Eichenbalken im Obergeschoss, die von Brand halbwegs verschont geblieben waren, mussten aufgrund von massiven Feuchtigkeitsschäden ausgebaut und durch eine Betondecke ersetzt werden. "Das erklärt die hohen Kosten. Aber damit hätte ein Versicherungssachverständiger rechnen müssen. Der ist doch vom Fach", sagt Thomas Vick aufgebracht.
Erneut seien entsprechende Unterlagen eingereicht worden. Schon längst hatte man die Versicherung über die Baumaßnahmen informiert, sogar schon Richtfest mit Vertretern der VGH gefeiert, sagt Anwalt Hennemann.
Unterstützung erhält die Familie auch von Bürgermeister Horst Günter Jagau. "Wir sind als Gemeinde sehr betroffen, dass sich die Maßnahmen hinziehen und die Vicks zwei Jahre warten müssen, bis der Schaden reguliert wird", sagt er. Die "Waldklause" sei ein Anziehungspunkt für Touristen und somit wichtig für Garlstorf.
Weshalb hält sich die Versicherung zurück? "Der über den Zeitwertschaden hinausgehende Teil der Entschädigung wird grundsätzlich fällig, nachdem der Kunde uns nachgewiesen hat, dass er die Wiederherstellung sichergestellt hat. Nachdem wir die erforderlichen per Anwaltsschreiben eingegangenen Unterlagen für diesen Nachweis in angemessener Frist geprüft haben, stand einer Auszahlung des Neuwertanteils ja auch nichts mehr im Wege", sagt Versicherungssprecher Christian Worms. Weiterhin habe die VGH für Hausrat, Inventar und Betriebsunterbrechung 370 000 Euro gezahlt.
"Das stimmt nicht", sagt Doris Vick. Gezahlt worden seien 72 000 Euro für Hausratsschäden sowie 170 000 Euro Betriebsunterbrechungskosten. Außerdem habe sich die VGH immer noch nicht zu dem hohen Gebäudeschaden geäußert - immerhin sei die Bewertung des Architekten um 400 000 Euro höher als das Gutachtenergebnis des Versicherungssachverständigen.
Dazu Worms: "Wir sind selbstverständlich bereit, die Ermittlungen der Schadenhöhe einer erneuten Prüfung zu unterziehen, allerdings auf fundierter Grundlage. Die vom Anwalt erbetenen und bislang noch nicht übermittelten erforderlichen Unterlagen sind erst am Mittwoch bei uns eingegangen."
Allerdings: "Diese Papiere liegen der VGH schon seit Mitte November 2011 vor. Wir haben sie noch mal übermittelt, um die versicherertypischen Einwände, dass relevante Unterlagen angeblich nicht vorliegen, zu beenden. Außerdem haben wir unter Klageandrohung eine letzte Frist von einer Woche gesetzt", sagt Hennemann. Worms: "Diese Frist halten wir für nicht angemessen, da wir die Unterlagen dem von uns beauftragten Sachverständigen zur Prüfung vorlegen müssen." Es scheint so, als ob ein weiteres Kapitel im Versicherungskrimi um die "Waldklause" aufgeschlagen wird.