Dienstag, den 26. Oktober 2004 um 00:00 Uhr
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Hilflose Kunden

Versicherungen drücken sich vor der Zahlung.
Wenn Versicherungen im Schadensfall nicht zahlen wollen oder die Zahlung hinauszögern, bleibt dem Versicherungsnehmer meist nur der Weg zum Fachanwalt.

von Sebastian Tilch

Erschienen im ZDF-Ratgeber am 26.10.2004

Wenn Versicherungen im Schadensfall nicht zahlen wollen oder die Zahlung hinauszögern, bleibt dem Versicherungsnehmer in Deutschland oft nur der Weg des langen und teuren Rechtsstreits. In anderen Ländern dagegen werden Unternehmen in solchen Fällen zu hohen Geldstrafen verurteilt.

Markus Schierz besucht im April 2003 mit Freunden eine Disco in Dresden. Er geht früher als die anderen nach Hause. Kurz darauf findet man ihn auf dem Parkplatz nebenan, schwer verletzt. Die Ärzte stellen starke Hirnblutungen fest. Eine Notoperation kommt zu spät.

Zweifel an Unfall

Der 29-Jährige ist heute vollständig gelähmt. Er ist nicht mehr in der Lage zu erzählen, was an jenem Abend wirklich geschah. Seit 20 Jahren hat Markus Schierz eine Unfallversicherung bei der englischen Lloyd's. Von der fordert Markus' Vater die vereinbarte Versicherungssumme. Doch die Versicherung weigert sich zu zahlen. Sie bezweifelt, dass es sich um einen Unfall handelte. Dabei stellten die Ärzte eindeutig fest: Markus war ein Opfer von Gewalt, ein Unfallopfer.

Der Vater, Claus Schierz, schildert den Fall: "Nachdem ja durch die kriminalpolizeilichen Ermittlungen ein Gerichtsmediziner beauftragt wurde, Markus noch im Krankenhaus zu untersuchen und festzustellen, woher die Verletzungen rühren, hat dieser unabhängige Gerichtsmediziner in seinem Gutachten festgestellt, dass es eine Verletzung ist, die nicht durch ein einfaches Stürzen zu ebener Erde zustande gekommen sein kann, sondern nur durch eine äußere, stumpfe Gewalteinwirkung."

Neues Gutachten

Die Versicherung hält das Gutachten für "nicht schlüssig". Sie fordert immer wieder neue Unterlagen an. Auf Anfrage von Frontal21 will man sich zu dem Fall nur schriftlich äußern. Lloyd's teilt Frontal21 mit: "Die Prüfung des Anspruchs erfolgt nach ordnungsgemäßen Kriterien. Zum gegenwärtigen Bearbeitungsstand kann ich Ihnen mitteilen, dass derzeit ein Gutachten durch die Universität Köln erstellt wird."

Ein neues Gutachten fast anderthalb Jahre nach dem Unfall - Markus' Vater kann das nicht verstehen: "Für mich ist es völlig unlogisch und völlig aus der Luft gegriffen, dass heute, 16 Monate nach Ereigniseintritt, ein Gutachter aus Köln eingesetzt werden soll. Der von Ferne, also vom Schreibtisch aus, begutachten soll, ob tatsächlich damals ein Unfall eingetreten ist."

Versicherung will Zeit gewinnen

Ein typischer Fall, sagen Experten im Versicherungsrecht, wie der Fachanwalt Jürgen Hennemann. Er kennt die Vorgehensweise von Versicherungsunternehmen: "Die Versicherer versuchen sich strategisch in der Weise zu positionieren, dass sie sowohl in den technischen als auch in den medizinischen Bereichen Gutachter ins Feld führen, die selbst bei wohlwollendster Betrachtung nicht anders als Gefälligkeitsgutachter der deutschen Versicherungswirtschaft genannt werden können. Dies liegt teils daran, dass sich einige dieser Einrichtungen, in einigen Fällen sogar unwidersprochen, in nahezu totaler wirtschaftlicher Abhängigkeit von den Versicherern befinden."

Mit jedem neuen bestellten Gutachten gewinnt die Versicherung Zeit. Zeit, die Geld wert ist. Dann vor allem, wenn der Versicherungsnehmer stirbt. "So makaber das sein mag, aber in solchen Versicherungspolicen gibt es eben verschiedene Klauseln", so Schierz. "Zum Beispiel lautet eine Klausel: Wenn der Verunfallte die ersten zwölf Monate nach Unfalleintritt oder Unfallereignis nicht überlebt, braucht die Versicherung nur die Todessumme zahlen. In diesem Fall sind es nur, in Anführungsstrichen, 5000 Euro." Ein Bruchteil im Vergleich zu knapp 200.000 Euro, die die Versicherung laut Vertrag sonst zahlen müsste.