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"Jetzt kommt alles wieder hoch"

Ortstermin: Opfer, Richterin und Anwälte besuchten Fahrgeschäft in Verden. Manuela Steiner ist seit einem Unfall auf Hamburger Dom schwerbehindert.

von Andreas Laible

Erschienen im Hamburger Abendblatt vom 14.06.2006

Jahrmarkt, Verden an der Aller. Die Sonne steht im Zenit, es duftet nach Mandeln. Die Hamburgerin Manuela Steiner kämpft mit ihren Gefühlen. Sie steht vor dem "Countdown"-Gerät, in dem sie 1999 auf dem Hamburger Dom in die Höhe katapultiert wurde. 54 Meter hoch, 21 Meter pro Sekunde - als Pflegefall kam sie wieder herunter. "Das Fahrgeschäft, das mir mein erstes Leben nahm", sagt die 28jährige leise. Seit Jahren verklagt Manuela Steiner vor dem Hamburger Landgericht den Fahrgeschäft-Inhaber des Unfallgeräts auf Schmerzensgeld und Rente - rund zwei Millionen Euro.

Nun also der "Ortstermin": Das Gericht will sich einen Eindruck verschaffen. Die Vorsitzende der Zivilkammer 2 des Hamburger Landgericht ist angereist. Anwälte, ein Sachverständiger. Zwischen Imbißbuden, Losständen, Lebkuchenherzen und Bratnudeln - Emotionen des Opfers: "Jetzt kommt alles wieder hoch", sagt Manuela Steiner. Sie muß tief durchatmen. "No Risk, No Fun", steht auf dem Fahrgerät. Manuela ist knapp an einer Querschnittslähmung vorbeigekommen. Auf den ersten Blick wirkt sie zwar gesund, doch: Ihr Nacken ist steif, diverse Operationen hat sie hinter sich. Ein Leben zwischen Krankenhaus, Reha-Klinik und zu Hause. Sie kann nur geradeaus schauen, eckige Bewegungen machen. Nicht länger als zwei Stunden sitzen. Hat ständig starke Schmerzen. Wenn sie ein Glas Wasser trinkt, muß sie ihren ganzen Körper mühsam beugen. Die Diagnose: zu 100 Prozent schwerbehindert.

"Die vergangenen vierzehn Tage habe ich kaum geschlafen", sagt sie. Der Ortstermin liegt ihr auf der Seele. Und die Nervosität bei den Anwälten ist zu spüren - es geht um viel Geld. Auf jenem Gerät band sie sich damals, nach ihren Angaben kurz vor der Fahrt in der Gondel, Schnürsenkel zu, beugte sich dazu schräg runter. "Ich war vorschriftsmäßig angeschnallt", sagt Manuela Steiner. Die Fahrt sei zu früh losgegangen, der Countdown nicht bei Null, sondern schon bei Sieben ausgelöst worden. Sie wurde hochgeschleudert. Mit 120 Kilometern pro Stunde. Die Gegenseite bestreitet alles - "bis auf die Existenz des Hamburger Doms", sagt Anwalt Jürgen Hennemann, der Manuela Steiner vertritt. Im Detail: daß es ein Unfall war, hilfsweise, daß die Verletzungen nicht von der Fahrt herrühren, daß man sich so gar nicht die Schnürsenkel zubinden könne.

Die Vorsitzende Richterin setzt sich in das "Countdown"-Gerät. Vor allem, um zu überprüfen, ob es möglich ist, sich die Schnürsenkel so zuzubinden. Die Prozeßbeteiligten scharen sich um sie, als sie sich den Sicherungsbügel anlegt. "Die Bügel waren damals andere", sagt Anwalt Hennemann. Die Gegenseite bestreitet auch dies. Die Spannung steigt - es gelingt der Richterin, mit ihren Händen knapp an ihre Füße herunterzukommen. Manuela Steiner und ihr Anwalt sind zufrieden. Hennemann: "Jetzt ist die letzte ,Verteidigungs'-Strategie der Gegenseite zusammengebrochen." Die zwei Anwälte des Fahrgeschäftbetreibers drängen von Anfang an massiv darauf, daß Medienvertreter nicht bei diesem Termin dabeisein sollen - auch nicht der Abendblatt-Reporter. "Sie schreiben nichts mit!" sagt Anwalt Udo Große Wentrup. "Gehen Sie weg hier!" Erst das Gericht stoppt den aufgeregten Advokaten, macht ihm klar, daß Prozesse, Ortstermine öffentlich sind. Nach dem Prozeß entschuldigt er sich beim Abendblatt für sein Verhalten. Der Seniorchef der verklagten Firma steht ruhig dabei. Während des Ortstermins ißt er ein Eis.

Nach dem Ortstermin geht der Betrieb beim "Countdown" weiter. Auf einem Schild steht: "Risiken und Nebenwirkungen?: Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker." Manuela Steiner versucht weiter ihre positive Haltung zu bewahren. Auch, wenn sie jetzt den Tränen nah ist. Sie will bloß weg dort. Nach Hause.