kanzlei-hennemann

  • Schrift vergrößern
  • Standard-Schriftgröße
  • Schriftgröße verkleinern
Start Presse/Medien Regulierungsverhalten der Versicherer Elektrofahrräder - Gefahr für Gesundheit und Geldbeutel?
E-Mail Drucken

Elektrofahrräder - Gefahr für Gesundheit und Geldbeutel?

SWR Marktcheck, Beitrag vom 06.06.2013



Aus der Sendung vom Donnerstag, 6.6. | 21.00 Uhr | SWR Fernsehen

Ein Rentner stürzt mit einem Elektrofahrrad und ist seitdem ein Schwerstpflegefall. Die Pflegekosten sind kaum mehr bezahlbar. Doch obwohl ein Sachverständiger eine mangelhafte Konstruktion des Rads bescheinigt, weigert sich die Versicherung des Herstellers zu zahlen.

Im Juli 2012 sind der 78-jährige Hubert M. und ein Freund, beides erfahrene Radfahrer, auf einer Landstraße bei Uttenweiler in Oberschwaben mit neuen Elektrofahrrädern unterwegs.
Hubert M. fährt bergab, ist etwa 40 km/h schnell. Lorenz S. fährt hinter ihm. Plötzlich schaukelt sich das Rad von Hubert M. auf, der Lenker wird unkontrollierbar.

Lorenz S wird Zeuge, wie Hubert M. ins Schleudern kommt, vom Rad abgeworfen wird und mit dem Kopf auf dem Asphalt aufschlägt. Hubert M. rührt sich nicht mehr. Ein Rettungshubschrauber bringt den Schwerverletzten in das Bundeswehrkrankenhaus nach Ulm. Er hat massive Gehirnblutungen.

Ein Unfall - Alles ändert sich

Der Unfall ist für Sohn Roland M. ein Schock. Er berichtet, dass sein Vater vor dem Unfall kerngesund war und bei schönem Wetter täglich 30 bis 50 Kilometer Rad fuhr.
Seit dem Unfall ist Hubert M. ein Schwerstpflegefall, liegt im Pflegeheim. Er wird künstlich ernährt, kann nicht sprechen, nur über eine Trachealkanüle atmen.

Aber wie konnte der Unfall passieren? Warum schaukelte sich das Elektrorad auf? War es ein Fahrfehler? Undenkbar, findet Unfall-Zeuge Lorenz S. und ist sich sicher, dass er ein Fahrfehler von hinten gesehen hätte.

Roland M. recherchiert und findet einen ADAC-Test über Elektroräder. Darin geprüft, das Kreidler Vitality Elite, das Rad, mit dem sein Vater den Unfall hatte. Die ADAC-Experten bemängeln: Schon bei 30 km/h schwingt das Rad auf, genau wie bei Hubert M. 
Handelt es sich um einen Konstruktionsfehler? Dann müsste der Hersteller für die Unfallfolgen haften.

Ursachensuche

Roland M. wendet sich deswegen an einen Rechtsanwalt. Sie kontaktieren den Hersteller Cycle Union, der verweist an seine Haftpflichtversicherung AXA.

Zusammen mit der AXA beauftragen sie einen renommierten Gutachter aus Ludwigsburg. Der soll herausfinden, ob Produktmängel Unfallursache waren. Sein Urteil: Das instabile Fahrverhalten sei ein Konstruktionsmangel.

Dirk Zedler, Gutachter vom Zedler-Institut für Fahrradtechnik, sagt dazu: "Das Gutachten basiert auf verschiedenen Prüfungen, die wir gemacht haben und vor allem sehr vielen Probefahrten, die haben ergeben, dass das Fahrrad schon bei sehr niedrigen Fahrgeschwindigkeiten fahrinstabil ist, und auch bei höherer Geschwindigkeiten immer fahrinstabiler wird, sprich, bei einer hohen Geschwindigkeiten kann es sein, dass man das Fahrrad nicht mehr beherrschen kann, wir sind deshalb sehr energisch, haben das Fazit geschrieben, weil ein Fahrrad, das so fährt, nicht in den Straßenverkehr gehört."

Roland M. und sein Anwalt glauben: Nun wird die Versicherung des Herstellers für die Unfallfolgen haften. Und die Familie hat finanzielle Hilfe dringend nötig, denn die Pflegekosten für Hubert M. sind hoch, bislang fast 34.000 Euro. Jeden Monat kommen mehr als 2.000 Euro dazu. Das Pflegeheim wird aus dem Ersparten finanziert, doch irgendwann ist damit Schluss, weil die Rente nicht mehr ausreicht, sagt Roland M.

Kein Schadenersatz

Die AXA lehnt jedoch jegliche Entschädigung ab. Zitat: "Danach sehen wir keinen Produktfehler bei dem von Ihrem Mandanten gefahrenen Fahrrad." Auf das Gutachten geht die AXA inhaltlich nicht ein. Für den Sohn des Unfallopfers ist das wie ein Schlag ins Gesicht. Sein Vater habe nichts falsch gemacht und das Rad richtig benutzt.

Experten verwundert das Verhalten der AXA dagegen nicht.
Jürgen Hennemann, Fachanwalt für Versicherungsrecht, meint dazu: "Ein professioneller Versicherer wie die AXA erkennt in einem solchen Schadenfall nach Minuten, dass es um unglaublich viel Geld geht, es geht um einen Schwerstgeschädigten, der pflegebedürftig ist, rund um die Uhr und das für den Rest seines Lebens, der Versicherer definiert einen solchen Schaden als Großschaden. Insoweit stellt sich für ihn danach strategisch und regulierungstaktisch nur noch die Frage, was muss ich unternehmen, um ganz raus zu kommen, um diesen Schaden überhaupt nicht zahlen zu müssen."

Wir fragen bei der AXA nach, warum sie trotz des Gutachtens nicht für die Unfallfolgen aufkommen will. Ein Interview lehnt die Versicherung ab, antwortet stattdessen schriftlich, "das … Gutachten weist einen Produktfehler nicht nachvollziehbar nach, denn es lässt sich nicht in Einklang mit dem geltenden technischen Standard bringen..."

Der Gutachter Dirk Zedler vom Zedler-Institut für Fahrradtechnik erklärt dazu: "Die Fahrstabilität kann anhand von Prüfungen eingeordnet werden, diese Prüfungen gibt es seit 20 Jahren am Markt, im sportlichen Fahrradbereich, sprich Rennräder, Mountainbikes, sind diese Prüfungen etabliert, da wird weltweit danach gefertigt, geprüft, und Fahrräder die diese Prüfungen nicht gut abschneiden, kommen gar nicht mehr auf den Markt."

Auch ein gerade veröffentlichter ADAC-Test gibt dem Gutachter Recht: Der Lenker schaukelt bergab. Doch die AXA bleibt hart.

Jürgen Hennemann, Fachanwalt für Versicherungsrecht erläutert: "Versicherer agieren eben nicht, und das wäre ein verklärter Blick, im Interesse ihrer Kunden, sondern sie agieren ausschließlich im Interesse ihrer Eigner und Aktionäre."

Hubert M. wird ein schwerer Pflegefall bleiben. Lange wird die Familie seine Pflege ohne Unterstützung nicht mehr zahlen können. Roland M. will nun gegen die AXA vor Gericht ziehen. Seine Mutter und er fühlen sich in ihrem Leid von der Versicherung alleine gelassen.